29 May 2018
Foto: KeyGene
Jeder weiß, dass es nicht klug ist, alles auf eine Karte zu setzen. Dieses Prinzip treibt eine von der EU unterstützte Initiative an, eine natürliche Alternative zum Kautschukbaum Hevea brasiliensis zu finden, der zu etwa 90 % in Südostasien angebaut werden. Basierend auf der traditionellen Nutzung und vorherigen Untersuchungen wurde der Russische Löwenzahn (Taraxacum kok-saghyz) im Rahmen des internationalen Projekts DRIVE4EU, bei dem GEA ein wichtiger Partner ist, ausgewählt. Das gemeinsame Ziel ist die Entwicklung einer zuverlässigen Produktionskette zur Herstellung von Kautschuk, aber auch von Inulin – beides wird in Produkten aus verschiedenen Industriezweigen eingesetzt.
Die EU setzt sich dafür ein, ihre Abhängigkeit von Naturkautschukressourcen in Asien zu verringern und eine nachhaltige Alternative zu finden. Zu diesem Zweck hat die EU 2014 das Forschungs-Demonstrationsprojekt DRIVE4EU mitfinanziert, das von der Wageningen University & Research – dem größten Pflanzenforschungsinstitut der Niederlande – koordiniert wird. DRIVE4EU besteht aus Fachleuten der Bereiche Biotechnologie, Züchtung, Agronomie, Extraktion und Bioraffinerie sowie Produktherstellung und hat die Aufgabe, eine europäische Kette für die Produktion und Verarbeitung von Naturkautschuk und Inulin aus Taraxacum kok-saghyz, auch bekannt als TKS oder Russischer Löwenzahn, zu entwickeln, der in Kasachstan heimisch ist.
DRIVE4EU ging ein weiteres von der EU gefördertes Projekt voraus, das im Jahr 2012 mit dem Ergebnis endete, dass TKS 4-6% qualitativ hochwertigen Naturkautschuk enthält. Ein weiteres – aus europäischer Sicht positives Ergebnis war zudem: der Löwenzahn lässt sich in gemäßigten Klimazonen als Einjahrespflanze anbauen und mechanisch ernten.
Aktuell wird Naturkautschuk in mehr als 40.000 Produkten der Bau-, Medizin- und Transportindustrie eingesetzt. Besonders wichtig ist er für die europäische Automobilindustrie, insbesondere zur Reifenherstellung. Sollte der prognostizierte deutliche Anstieg im Verbrauch tatsächlich eintreten, ist mit steigenden Marktpreisen zu rechnen. Gegenwärtig wird die Nachfrage durch die Ausweitung der Anbauflächen von Kautschukbaumplantagen gedeckt, die mit eigenen Nachhaltigkeitsproblemen wie Entwaldung und Arbeitsproblemen behaftet sind. Die Situation wird durch veränderte Witterungsbedingungen und die Gefahr von Krankheiten, die die asiatische Kautschukindustrie praktisch auslöschen könnten, noch prekärer. Und synthetischer Kautschuk ist für viele Produkte einfach keine Option. Alles Argumente, die für eine Suche nach Alternativen sprechen.
TKS liefert aber nicht nur Naturkautschuk; 40 % der getrockneten Wurzelbiomasse besteht aus Inulin, natürlich vorkommende Polysaccharide, die hauptsächlich aus Fructose-Einheiten bestehen. Aufgrund seiner außergewöhnlich anpassungsfähigen Eigenschaften wird Inulin zunehmend in verarbeiteten Lebensmitteln eingesetzt – insbesondere als Ersatz für Zucker, Fett und Mehl. Es bietet darüber hinaus auch viele gesundheitliche Vorteile. Im Hinblick auf seine Verwendung in der Industrie kann nicht-hydrolysiertes Inulin direkt in Ethanol umgewandelt werden, wodurch großes Potenzial für die Umwandlung inulinhaltiger Pflanzen in Kraftstoff besteht. Hydrolysiertes Inulin, hauptsächlich Fructose, kann wiederum zur Herstellung von Polyethylenfuranoat (PEF) verwendet werden, das in der Getränkeabfüllung verwendet wird und nachhaltiger ist als PET. Das restliche Wurzelmaterial und die Blätter können zur Kompostierung verwendet werden.
DRIVE4EU wurde 2014 in Leben gerufen und knüpft dort an, wo das letzte EU-Projekt endete. Bis August 2018 sollen folgende Themengebiete erforscht und aufbereitet sein:
Aufgabe der GEA bestand darin, zusammen mit den DRIVE4EU-Partnern einen Bioraffinerieprozess zu entwickeln, bei dem sowohl Kautschuk als auch Inulin im Pilotmaßstab extrahiert werden konnten sowie große Proben von getrocknetem Kautschuk und von Inulin für Produkttests und -analysen zu liefern. Dazu wurde der Löwenzahn zum Testen und Vergleichen an mehreren Standorten angebaut, unter anderem in Belgien, den Niederlanden und Kasachstan, und nach der Ernte zur Extraktion an GEA geschickt. In einem ersten Schritt entwickelten die Partner gemeinsam mit GEA eine Prozesslinie zur Aufbereitung der Wurzeln mit einem angepassten Dekanter zur Trennung von zuckerhaltigem Wasser, Gummi, und organischen Feststoffen. Die so gewonnene Gummiphase wurde in einem zweiten Prozessschritt gereinigt und getrocknet, besonderes Augenmerk lag dabei auf Extraktionszeiten, Verarbeitungsbedingungen und auf der Gewinnung eines möglichst reinen Kautschuks. GEA wurde außerdem gebeten, Möglichkeiten zu suchen, die Abfallströme aus dem Prozess, z.B. Wasser, zu verwerten.
Derzeit wird der gewonnene Kautschuk zusammen mit Partnerfirmen zu Produkten verarbeitet, die dann getestet und bewertet werden. Einer davon, Vredestein (Apollo Tyres), hat die ersten Fahrradreifen produziert, die Anfang 2017 auf der Eurobike in Friedrichshafen vorgestellt wurden. Die Reifen zeigen im Vergleich zu herkömmlichen Mischungen eine vielversprechende Performance in Tests, zum Beispiel beim Grip. Derzeit wird untersucht, ob dieser Reifen in Serie produziert werden kann. Der Partner QEW Engineered Rubber produziert Gummiplatten für Pumpen und Dichtungen für Tests. Der Kautschuk wird auch genutzt, um ein Material zu erzeugen, das bei Erdbeben in Gebäuden als Stoßdämpfer dient. Inulinsirup ist ebenfalls erhältlich und wird aktuell weiterentwickelt und getestet.
Prototyp-Fahrradreifen Fortezza Flower Power von Vredestein (Apollo Tyres) aus Kautschuk, der mit NETZSCH-Mahl- und GEA-Dekantertechnologie gewonnen wurde. Die Reifen zeigen im Vergleich zu herkömmlichen Mischungen eine vielversprechende Performance in Tests, zum Beispiel beim Grip.
Lesen Sie hier den finalen DRIVE4EU-Bericht mit einer wirtschaftlichen Analyse der gesamten Produktionskette.
DRIVE4EU Partner: Apollo Tyres (Niederlande); GEA (Deutschland); ILVO (Institut für Agrar- und Fischereiforschung) (Belgien); InExCB.KZ (Republik Kasachstan); Institut für Botanik (Tschechien); Joanneum Research (Österreich); KeyGene (Niederlande); Mitas (Tschechien); NETZSCH-Feinmahltechnik GmbH (Deutschland); QEW Engineered Rubber (Niederlande); Rusthoeve (Niederlande); Tereos Syral (Frankreich) und Wageningen University & Research (Niederlande)