New Food mit Abkürzung

09 May 2023

Wie ernähren wir die Welt genussvoll, ressourcenarm und verantwortungsbewusst? Die Serie „Food for Thought“ begleitet Menschen, die diese Frage aus verschiedenen Blickwinkeln beantworten. GEA blickt auf das Neuland New Food und zeigt mit Solar Foods, wie wenig es bedarf, um Nahrung nachhaltig herzustellen – nahezu aus dem Nichts.

In seinem Zukunftsessay “Fifty Years Hence”1 beschrieb Winston Churchill schon 1931, dass wir das Zellwachstum beeinflussen könnten, sobald wir die Hormone verstünden. Dadurch entkämen wir der „Absurdität, ein ganzes Huhn aufziehen zu müssen, um die Brust oder den Flügel zu essen.“ Seine Zukunftsvision, die damals im Strand-Magazin wohl wie Science Fiction klingen musste, ist heute Realität: Denn inzwischen hat kultiviertes Fleisch, das sich aus einzelnen Zellen in einem Bioreaktor entwickelte, den Weg aus dem Labor in die Industrie und bereits in das eine oder andere Restaurant gefunden.

„Mit einer besseren Kenntnis der sogenannten Hormone, also der chemischen Botenstoffe in unserem Blut, wird es möglich sein, das Wachstum zu steuern. Wir werden der Absurdität entkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, indem wir diese Teile separat unter einem geeigneten Medium züchten.“  Winston Churchill, Dezember 1931, im Zukunftsessay „Fifty Years Hence“, America’s National Churchill Museum

Winston Churchill, Dezember 1931, im Zukunftsessay „Fifty Years Hence“, America’s National Churchill Museum

“Ideen, die uns morgen ernähren könnten”

Wie solch ein Nahrungsmittel entsteht, zeigt der GEA-Film „Ideas that could feed the world“ als Teil der Serie “Food for Thought” . In Helsinki treffen wir GEAs New-Food-Experten Tatjana Krampitz und Morten Holm Christensen bei ihrem Besuch von Solar Foods, einem finnischen Food-Tech-Unternehmen. Die Zukunftsvision, die Churchill entwarf, wird in den Laboren von Solar Foods Realität. Dort, und bald auch in der großen Factory 01, stellen die Finnen das Protein Solein her.

Solein ist Protein in seiner pursten und nahrhaftesten Form, das jede erdenkliche Form und jeden Geschmack annehmen kann, den Köche ihm geben wollen. Solar Foods gewinnt das senfgelbe Protein durch einen Bioprozess, bei dem eine einzige Mikrobe mit Luft gefüttert wird, die durch erneuerbar erzeugten Strom in Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff aufgespalten wird. Im Kern unterscheidet sich dieser Prozess nicht von der Fermentation von Joghurt, Käse, Bier oder Wein. Zusammen mit Nährstoffen wie Kalzium und Phosphor werden die Mikroben mit denselben Stoffen gezüchtet, die Pflanzen über ihre Wurzeln aus dem Boden aufnehmen.

Solar Foods gewinnt das Protein Solein® durch Fermentation. Der Bioprozess mag nicht traditionell sein, er ist aber gänzlich natürlich. Quelle: Solar Foods

Solar Foods gewinnt das Protein Solein® durch Fermentation. Der Bioprozess mag nicht traditionell sein, er ist aber gänzlich natürlich. Quelle: Solar Foods

Solein-Produktverkostung in der Testküche von Solar Foods. Koch, Morten Holm Christensen, Tatjana Krampitz (beide GEA) und Dr. Juha-Pekka Pitkänen (CTO Solar Foods). Quelle: GEA-Film „Ideas that could feed the world”

Solein-Produktverkostung in der Testküche von Solar Foods. Koch, Morten Holm Christensen, Tatjana Krampitz (beide GEA) und Dr. Juha-Pekka Pitkänen (CTO Solar Foods). Quelle: GEA-Film „Ideas that could feed the world”

Spitzensportler Mikroorganismen, Effizienzwunder Fermentation

Wie andere Akteure im New-Food-Markt möchte Solar Foods Proteingewinnung und Landwirtschaft entkoppeln und die Produktion unabhängig von den Landnutzung und Wetterbedingungen machen. Speziell die konventionelle Eiweißproduktion sei heute noch ressourcenintensiv – und in ihren Augen unverhältnismäßig. Deshalb wird New Food immer häufiger als Lösung für den Klimaschutz und die Ernährungssicherheit betrachtet.

Alternative Proteine aus pflanzlichen Quellen, zellbasiert oder durch Mikroorganismen gewonnen, sind der Anfang. Enzyme wie Kasein und Lab oder Aromen führen den Reigen weiter. Bei der Präzisionsfermentation werden Mikroben als Minifabriken eingesetzt, die eine lange Liste nützlicher Mikroinhaltsstoffe produzieren können, von Vitaminen und Fetten bis hin zu – und das ist besonders für neuartige Lebensmittel – großen Mengen an Makroinhaltsstoffen wie Kasein und Beta-Lactoglobulin. Wir kennen Präzisionsfermentation als ausgereifte Technologie zum Beispiel für die Insulin- und Antibiotikaherstellung. Sie hat sich rasch zum Schlüssel für die Verbesserung der Funktionalität und des Geschmacks von Proteinen auf Pflanzenbasis entwickelt. Eine der vielen Anwendungen: Aus Hefe gewonnene Fette können pflanzlichen Molkereiprodukten zugesetzt werden, um deren Textur und gesundheitliche Aspekte zu verbessern.

„New Food ist wie eine Abkürzung für alle traditionellen Lebensmittelketten.“ Morten Holm Christensen, Application Manager Biotechnology New Food, GEA

Morten Holm Christensen, Application Manager Biotechnology New Food, GEA

Das steht morgen auf dem Speiseplan

„New Food“, fasst es Biotechnologe Christensen zusammen, „ist im Grunde wie eine Abkürzung für alle traditionellen Lebensmittelketten: Wir gelangen zum gleichen Endprodukt wie zuvor, aber nehmen Zutaten aus einem viel früheren Stadium.“ Früheres Stadium, weit weniger Ressourcen für die Landwirtschaft.

Morgen also schon könnte das auf unserem Teller liegen: Veggie-Burger, die kaum noch von ihren Pendants aus Hackfleisch zu unterscheiden sind, Milchprodukte aus fermentierten Milchzellen, durch Milchfett angereicherte, cremig-pflanzliche Desserts, die Hähnchenbrust aus dem Bioreaktor. Hähnchenbrust? Entschuldigung. Vielleicht brauchen wir neue Begriffe, damit wir das Neue nicht mit dem Alten vergleichen. Vielleicht brauchen wir mehr Offenheit. Denn anders wird es, vielfältiger – aber lecker!

Das brutzelt morgen in der Pfanne: sichere, nahrhafte und funktionelle neuartige Lebensmittel. Quelle: GEA-Film “Ideas that could feed the world”

Das brutzelt morgen in der Pfanne: sichere, nahrhafte und funktionelle neuartige Lebensmittel. Quelle: GEA-Film “Ideas that could feed the world”

Zur Serie #Food for Thought

Ein Blick auf Europa zeigt: Die Zeichen stehen auf Umschwung. Was Verbraucher einerseits wollen und was technische Innovationen anderseits können, verändert die Art und Weise, wie Produkte angebaut, hergestellt und vertrieben werden. Produziert von BBC StoryWorks für FoodDrinkEurope widmet sich die Onlineserie „Food for Thought“ deshalb den Protagonisten der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, die diesen Wandel vorantreiben. Ihre kreativen Ideen legen die Grundlage für ein nachhaltiges Ernährungssystem mit gesunden, umweltfreundlichen, nahrhaften und erschwinglichen Lebensmitteln.

Sie können diese Serie hier erkunden: Ideas that could feed the world - BBC

Sie wohnen in Großbritannien oder China? Dann nutzen Sie bitte diesen Link: Ideas that could feed the world - YouTube

1 America’s National Churchill Museum | Fifty Years Hence, Winston Churchill December 1931

Entdecken Sie die Geschichten von Innovatoren, die widerstandsfähigere und nachhaltigere Ernährungssystem schaffen. Die Serie "Food for Thought" wurde initiiert von FoodDrinkEurope. Quelle: BBC StoryWorks
Bericht Neuland New Food

Topfgucker: Neuland New Food

Für den Bericht Neuland New Food hat GEA mehr als 1.000 Köche in aller Welt zu ihren Erfahrungen mit neuartigen Produkten wie zellbasierten Lebensmitteln und Getränken befragt. Zusammen mit ausführlichen Beiträgen sowie Interviews mit Vordenkern, Branchenexperten und Investoren ergibt sich ein differenziertes Bild von den Chancen und Hürden, denen die Industrie begegnet, wenn sie ihre Produktion für eine zunehmend große Verbraucherschicht ausweiten möchte.
Heinz Jürgen Kroner, Senior Vice President Business Units Liquid Technologies und New Food, GEA

Land der Möglichkeiten

Die New-Food-Branche gewinnt an Fahrt und konzentriert sich auf die Frage, wie sich Größenvorteile in der Herstellung am besten erzielen lassen. Im gesamten Spektrum der alternativen Proteine haben sich technologische Innovationen und effiziente industrielle Prozesse als die beiden wichtigsten Hebel zur Steigerung der Qualität und Quantität der gewünschten Endprodukte erwiesen. GEA gründete 2022 die Business Unit New Food, die sich vor allem der zellbasierten Proteingewinnung widmet. Heinz Jürgen Kroner leitet den Bereich und sprach mit uns über GEAs Rolle als Geburtshelfer für eine aufstrebende Industrie.
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