26. September 2024
Beliebte Bohne: So groß der Kaffeegenuss ist, so groß ist auch der ökologische Fußabdruck für den Anbau. Mit Hilfe von New-Food-Biotechnologie sind umweltfreundliche Alternativen möglich. Quelle: Suwatwongkham/Getty
Wir stehen vor einer globalen Herausforderung: Die Weltbevölkerung wird bis 205025 auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. Traditionelle Methoden allein können den stärkeren Proteinbedarf als wichtiger Ernährungsbaustein nicht mehr decken – jedenfalls nicht mit einer Erde. Ein breit angelegter Umstieg auf pflanzliche Lebensmittel, kultiviertes Fleisch und weitere alternative Proteine hat das Potenzial, künftige Generationen auf klimafreundliche, genussvolleWeise zu ernähren. Dafür brauchen wir Innovationen.
Reimar Gutte: Ja, New Food klingt futuristisch, ist aber schon jetzt Realität! Es geht darum, Proteine auf neue, nachhaltige Weise zu produzieren – sei es mit Hilfe von Pflanzen, Mikroorganismen oder durch den Anbau – das Kultivieren – von Zellen. Das Besondere ist: Wir können Lebensmittel herstellen, die genauso schmecken und genauso gesund sind wie ihre tierischen Pendants, aber ohne die gleichen Umweltprobleme. Denken Sie an den riesigen Wasserverbrauch und die Flächen, die wir für die traditionelle Landwirtschaft brauchen. Mit New Food können wir das alles radikal reduzieren und gleichzeitig den wachsenden Bedarf an Proteinen weltweit decken. Das Ernährungssystem bekäme ein Standbein mehr.
Als Technologieausstatter für die Lebensmittelindustrie ist GEA seit vielen Jahren führend in dieser traditionellen Branche. Unsere Stärke liegt darin, Ideen im industriellen Maßstab umzusetzen. Und das übertragen wir nun auf den neuen Markt: Wenn ein Start-up ein großartiges Konzept für alternative Proteine entwickelt, dann helfen wir ihm, dieses Konzept in die Produktion zu bringen – in großen Mengen und mit höchster Effizienz. Wir arbeiten natürlich auch eng mit etablierten Unternehmen zusammen und stellen sicher, dass ihre Innovationen sicher, nachhaltig und für die Massenproduktion tauglich sind.
Wir bitten Dr. Reimar Gutte, Senior Vice President Liquid, Fermentation & Filling bei GEA, zu Tisch.
Absolut! Zum Beispiel produziert unser Kunde Solar Foods in Finnland ein nährstoffreiches Proteinpulver durch Präzisionsfermentation. Sie nutzen Rohstoffe aus der Luft wie CO2 und Wasserstoff, die direkt vor Ort durch CO2-Capturing und Elektrolyse gewonnen werden. Hier bekommt man einen Eindruck von dem, was möglich ist, vor allem, wenn dies – wie bei Solar – mit erneuerbarer Energie passiert. . Solar Foods ist im September 2024 erfolgreich an der Nasdaq First North Growth in Helsinki notiert. Die Produktionsanlage hat schon eine bedeutende Größe.
Ein typisches Start-up, mit dem wir in unserem Technologiezentrum in Hildesheim arbeiten, ist Bluu Seafood. Es stellt zellkultivierter Fisch her. Fischprotein entsteht in Bioreaktoren, ohne dass wir tatsächlich Fische fangen und unsere Ozeane gefährden. Bluu war sogar Finalist beim Deutschen Gründerpreis, eine große Würdigung für diese begabten Wissenschaftler. Diese Produkte sind nicht nur nachhaltig, sondern haben auch das Potenzial, die Art und Weise, wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, komplett zu verändern.
Das stimmt. Deswegen ist es so wichtig, dass wir ehrlich und transparent kommunizieren. Begriffe wie „Laborfleisch“ helfen nicht weiter – sie verunsichern die Menschen. Wir müssen erklären, dass diese Produkte genauso sicher und oft sogar noch gesünder sind als herkömmliche Lebensmittel. Und wir müssen zeigen, dass sie großartig schmecken. Es gibt bereits Länder wie Singapur, Israel und die USA, wo kultiviertes Fleisch in Restaurants serviert wird oder getestet wurde, und die Reaktionen sind überwältigend positiv.
In Ländern wie Singapur und den USA sehen wir, wie stark in diese Technologien investiert wird – und das nicht nur finanziell. Dort gibt es auch schnellere Zulassungsverfahren und eine klare politische Unterstützung. Deutschland und Europa müssen aufholen. Die Zulassungsverfahren dauern hier viel zu lange. Start-ups haben nicht die Zeit, monatelang auf Genehmigungen zu warten. Wenn wir nicht bald schneller werden, wandern die besten Ideen ins Ausland ab – und damit auch die Chance, die Zukunft der Ernährung aktiv mitzugestalten.
Dr. Reimar Gutte
Senior Vice President for Liquid, Fermentation & Filling, GEA
Wir brauchen schnellere und flexiblere Zulassungsverfahren. Es wäre ideal, wenn die Behörden eng mit den Unternehmen zusammenarbeiten, um effiziente Lösungen zu finden, ohne dabei die Sicherheit der Verbraucher zu vernachlässigen. Zudem wäre es sinnvoll, Testfelder zu schaffen, wo Innovationen schneller erprobt werden können. GEA hat bereits ein Technologiezentrum in Hildesheim aufgebaut, wir errichten derzeit eines in den USA, aber davon brauchen wir mehr. Wir brauchen politische Unterstützung, damit der Markt wachsen kann.
Die EU muss sich auf den globalen Wettbewerb einstellen. Singapur und Israel zum Beispiel setzen strategisch auf diese Biotechnologien, um ihre Ernährungssicherheit zu stärken. Die EU hat ebenfalls Programme wie den European Innovation Council, der Start-ups fördert. Aber wir müssen mehr tun. Wie innovative Projekte finanziert werden und ein Markt für alternative Proteine geöffnet wird, das ist entscheidend. Ich würde mir wünschen, dass die EU-Kommission noch kooperativer wird, wenn es darum geht, Zulassungen zu beschleunigen und Investitionen zu fördern.
Wir stehen am Anfang einer großen Veränderung. In fünf bis zehn Jahren könnten alternative Proteine einen erheblichen Teil unserer Ernährung ausmachen. GEA wird weiterhin eine Schlüsselrolle spielen, indem wir die guten Ideen mit unseren Technologien auf industrielle Reife bringen und nachhaltige Produktionsprozesse entwickeln. Die Herausforderung wird sein, dass wir es schaffen, diese Innovationen nicht nur für einen kleinen Nischenmarkt zu entwickeln, sondern für die breite Masse. Dafür brauchen wir die Unterstützung der Politik, damit Deutschland und Europa global wettbewerbsfähig bleiben.
Vielen Dank! Es liegt an uns allen, diese Chance zu nutzen.
Die Weltbevölkerung wächst, während der Klimawandel unsere Ressourcen belastet. Neue, nachhaltige Nahrungsmittelquellen werden dringender denn je. New Food – von pflanzlichen Proteinen bis zu zellkultiviertem Fleisch – bietet innovative Lösungen für diese Herausforderung. Doch welche Schritte sind nötig, um diese Technologien zu fördern und in Europa zu etablieren? In der Tagesspiegel-Expertenrunde diskutierten hochkarätige Experten aus Wissenschaft, Politik und Industrie über die Zukunft der Lebensmittelproduktion.
Sprecher:
Moderation: Stephan-Andreas Casdorff (Herausgeber Tagesspiegel)
Bild: Verlag Der Tagesspiegel/Lena Ganssmann