25 May 2020
Mit der Zunahme der Weltbevölkerung steigt auch die Nachfrage nach Lebensmitteln, insbesondere Fleisch. Leider belastet die traditionelle Tierproduktion Wasserund Landressourcen und kann laut Experten den künftigen Bedarf nicht nachhaltig decken. Nahrungsmittelforscher sind sich sicher, dass dies mit Entomophagie – dem Verzehr von Insekten – möglich ist.
Insekten haben einen hohen Protein-, Fett- und Mineralgehalt; sie wachsen schnell, brauchen wenig Platz und können auf Abfallsträngen und essbaren Nebenprodukten aus der Lebensmittelindustrie gezüchtet werden. Fast zwei Milliarden Menschen, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika, konsumieren bereits mehr als 2.000 verschiedene Insektenarten, die häufig auf Straßenmärkten verkauft werden.
Insekten, die bereits ein natürlicher Ernährungsbestandteil von Schweinen, Geflügel und Fischen sind, können in verschiedenen Ländern als natürliche Ressource auch in Nutz- und Heimtiernahrung verwendet werden. Damit steht mehr Getreide für den menschlichen Verzehr zur Verfügung – eine gute Nachricht, da schätzungsweise ein Drittel des weltweiten Getreides an Tiere verfüttert wird. Die Verwendung von Insekten in Tierfutter minimiert darüber hinaus auch die Fischmehlproduktion und hat damit eine positive Auswirkung auf die Überfischung der Weltmeere. Verarbeitete Insekten finden sich ebenfalls bereits in Medizin, Kosmetik und Alkohol wieder.
Je nachdem in welchem Land man sich befindet, ist der rechtliche Weg einfach bis komplex, insektenbasierte Lebensmittel auf den Markt zu bringen. In Großbritannien, den USA, Australien, Neuseeland und Kanada unterliegen essbare Insekten den geltenden Lebensmittelvorschriften. In der Schweiz sind drei Insektenarten für die Verwendung in Lebensmitteln zugelassen. 1997 verabschiedete die EU die Verordnung über neuartige Lebensmittel, in der alle Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die vor dem 15. Mai 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, als „neuartig“ eingestuft wurden, einschließlich „aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten“. Die ungenaue Definition, die beispielsweise nicht zwischen ganzen Insekten oder Zutaten aus ganzen Insekten unterschied, führte zu verschiedenen Interpretationen.
Im Jahr 2015 wurde schließlich die Sprachregelung für ganze Insekten und deren Teile geklärt und die Standards und Zulassungsverfahren für die Vermarktung von „neuartigen“ Lebensmitteln wurden definiert. Das Gesetz ist 2018 in Kraft getreten. Infolgedessen mussten insektenbasierte Produkte, auch solche, die zuvor zugelassen wurden, bis Ende Januar 2019 einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden, bevor sie in der EU in Verkehr gebracht (oder wieder in Verkehr gebracht) werden konnten.
Inzwischen haben insektenbasierte Produkte – von ganzen Tieren bis hin zu Insektenpulver – bereits ihren Weg in die europäischen Supermärkte gefunden. Der Hypermarkt Carrefour in Spanien führt beispielsweise Produkte von Jimini, einem 2012 gegründeten französischen Start-up. Für die Absatzmärkte Frankreich, Belgien, Niederlande, Finnland und Dänemark erwartet das Unternehmen hingegen, dass die Akzeptanz mehr Zeit braucht. Aber es glaube auch, dass Insekten schneller angenommen werden als beispielsweise roher Fisch oder Sushi – schätzungsweise in weniger als 15 Jahren.
Jüngste Studien zeigen jedoch immer noch eine geringe Akzeptanz in ganz Europa, wobei „Ekel“ und „Neophobie“, die Angst vor etwas Neuem, deutliche Barrieren darstellen. Der emeritierte Professor Arnold van Huis von der Universität Wageningen, Niederlande, der mit seiner Arbeit für die FAO im Jahr 2013 dazu beigetragen hat, das Thema essbare Insekten weltweit zu etablieren, glaubt, dass verarbeitete Insekten für Insektenneulinge der richtige Weg sind. Dirk Sindermann, Head of Process Technology – Nachwachsende Rohstoffe bei GEA, stimmt zu: „Die Akzeptanz wird viel höher sein, wenn man Insekten oder Insektenlarven so verarbeiten kann, dass man eine neutrale Proteinquelle in Bezug auf Geschmack, Aussehen, Farbe und Geruch erhält. Erst verarbeitet werden Nahrungsmittel auf Insektenbasis zu einem nachhaltigen Segment.“
Laut Meticulous Research wird der globale Sektor für essbare Insekten trotz der Zurückhaltung der Verbraucher bis 2023 einen Wert von circa 1,2 Milliarden US-Dollar erreichen und ab 2018 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 23,8 Prozent aufweisen – wobei für die USA und Kanada das höchste Wachstum prognostiziert wird. Also, wer sind eigentlich diese Insektenliebhaber?
Die Zielgruppen werden allgemein als abenteuerlustige, gesundheits- oder nachhaltigkeitsbewusste Konsumenten, oft zwischen 18 und 35 Jahren, kategorisiert, wobei auch Kinder im Alter von vier bis acht Jahren großes Interesse zeigen.
- Dirk Sindermann, Head of Process Technology – Nachwachsende Rohstoffe, GEA
Im Tierfutterbereich entsteht ebenfalls eine Dynamik. Die EU hat 2017 die Verwendung von Insektenprotein als Fischfutter zugelassen, ein wichtiger Schritt angesichts der Tatsache, dass Fischmehl etwa zehn Prozent des weltweiten Fischaufkommens ausmacht und teilweise wegen der Überfischung teuer und schwer zu beschaffen ist. In den USA entscheiden einzelne Staaten darüber, ob Insekten in Tierfutter verwendet werden können; in Kanada sind Insekten als Fisch- und Geflügelfutter bereits zugelassen. Die EU erlaubt aufgrund der historischen Probleme mit Rinderwahnsinn (BSE) keine Verwendung von Insekten in Geflügel- oder Schweinefutter. Lebende Insekten und von Insekten gewonnenes Fett dürfen jedoch an Nutztiere verfüttert werden. Wenn die EU-Futtermittelgesetze gelockert werden, ist es wahrscheinlich, dass dieser Markt explodiert. Die Unternehmen sind bereits darauf vorbereitet, bei Bedarf mehrere Tonnen pro Tag zu produzieren.
Aufgrund der nur langsam wachsenden Akzeptanz von essbaren Insekten wird sich der Futtermittelbereich vermutlich schneller bewegen. Die Erkenntnisse über Aufzucht, Verarbeitung und Versorgung gelten jedoch genauso für die Lebensmittelseite, erklärt Sindermann: „Fast das gesamte Know-how, das wir aus der Futtermittelindustrie gewinnen, können wir auf die Lebensmittelindustrie übertragen“. Und er fügt hinzu: „Wir investieren mit großer Überzeugung in innovative und zukunftsorientierte Technologien und Branchen, auch wenn der Erfolg nicht zu 100 Prozent gesichert ist.“
- Luke Wheat, CEO, Future Green Solutions, Australien, und Kunde von GEA
Um Insekten möglichst effektiv zu nutzen, müssen mehrere Dinge geschehen: Interessengruppen fordern weitere Daten, nicht nur zu Ernährungsleistung und -sicherheit, sondern auch in Bezug auf Lösungen zur Erhöhung der Automatisierung und Senkung der Produktionskosten. Sobald die Daten verfügbar sind, müssen Rechtsvorschriften erlassen werden und die Industrie muss schnell expandieren, um die Nachfrage zu decken.
Um ihre Nachhaltigkeit zu maximieren, müssen Insekten eine zentrale Rolle im Wirtschaftskreislauf spielen, indem sie mit Restgetreide, Lebensmitteln, Lebensmittelnebenprodukten und anderen Arten von Abfällen wie Gülle aufgezogen werden. Auf welchem Level die Länder ein Kontinuum der Vor- und Nachkonsumabfälle erreichen, bleibt abzuwarten und wird zweifellos heiß debattiert. Es wird aber helfen, den relativ hohen Energieverbrauch bei der Aufzucht durch die hohen Umgebungstemperaturen auszugleichen.
Schließlich führen die wachsende Verstädterung und die Nachahmung westlicher Werte dazu, dass Menschen aufhören, Insekten zu essen. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, um die bestehende Insektenesskultur zu erhalten und sie dort weiter zu fördern, wo „Early Adopters“ eine positive Erfahrung machen. Änderungen an Produktions- und Lieferkettenstrategien müssen untersucht werden, um sicherzustellen, dass neue Stadtbewohner immer noch Zugang zu insektenbasierten Lebensmitteln haben. Zudem müssten Übernutzung und Verschmutzung der Umwelt, Pestizideinsatz und Entwaldung weltweit eingedämmt werden, um bestehende Insektenpopulationen zu schonen.
- Luke Wheat, CEO, Future Green Solutions, Australien, und Kunde von GEA