15 Feb 2021
Laut Euromonitor International wird Flüssigmilch heutzutage zu 34 Prozent in Form von haltbarer bzw. H-Milch getrunken. In Westeuropa ist der Verzehr am höchsten, gefolgt von Lateinamerika und dem Asiatisch-Pazifischen Raum. In Bezug auf das Wachstum sieht es allerdings etwas anders aus: Während das Absatzvolumen in Nordamerika und Westeuropa stetig sinkt, wird im asiatisch-pazifischen Raum, in Australien, Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten kontinuierlich mehr H-Milch gekauft. Für Länder, die viel Milch importieren, bietet die H-Milch einen klaren Vorteil: Sie ist ohne Kühlung rund sechs bis neun Monate haltbar.
Wir haben mit Ludger Tacke, Head of Product Engineering Management – Hygienic Processing bei GEA, gesprochen, um mehr über die Verarbeitung von H-Milch und die Entwicklungen, Auffassungen und Irrglauben zu erfahren, die diese wichtige Milchkategorie prägen.
LT: Viele unterscheiden Milchsorten nur nach ihrem Fettgehalt, es gibt jedoch auch unterschiedliche Verarbeitungsarten, die zu vier grundlegenden Milchsorten führen:
Frische Rohmilch wird auf ihrem Weg vom Milchbauern zum Verbraucher kaum verarbeitet. Einige Menschen bevorzugen ihren Geschmack und die hohe Nährstoffdichte und beziehen sie direkt vom Bauern. In vielen Ländern ist es allerdings verboten, Rohmilch in den Geschäften zu verkaufen, weil die Verbrauchersicherheit nicht gewährleistet werden kann. Rohmilch wird nicht erhitzt. Deshalb enthält sie Keime und hat eine relativ kurze Haltbarkeitsdauer von normalerweise sieben bis zehn Tagen.
Pasteurisierte Milch wird für 15 bis 30 Sekunden auf 72 bis 75 Grad Celsius erhitzt. Dieses Verfahren, das auch „Kurzzeiterhitzung“ genannt wird, inaktiviert zirka 99,9 Prozent aller Keime. Die Milch wird anschließend heruntergekühlt und muss ab diesem Zeitpunkt gekühlt gelagert werden, da sich die verbleibenden Bakterien andernfalls vermehren könnten. Pasteurisierte Milch ist ab dem Datum der Abfüllung ungefähr zwölf bis 20 Tage lang haltbar.
Die sogenannte ESL-Milch (Extended Shelf Life) ist eine weitere Option. Sie muss nach dem Verpacken ebenfalls gekühlt werden und ist etwa 21 bis 45 Tage lang haltbar. Diese verlängerte Haltbarkeit wird erreicht, indem die Bakterien entfernt oder inaktiviert werden, bevor die Milch abgefüllt wird. Das Entfernen kann entweder mechanisch mit Entkeimungsseparatoren oder Mikrofiltration, die Inaktivierung über eine Ultrapasteurisierung durchgeführt werden, wobei hier die Milch vier Sekunden lang auf eine Temperatur von rund 127 Grad Celsius erhitzt wird. Alternativ können diese Verfahren auch miteinander kombiniert werden.
Ultrapasteurisierte Milch, oder H-Milch, wird zwei bis vier Sekunden lang auf mindestens 138 Grad Celsius erhitzt, wobei sämtliche Bakterien inaktiviert werden. Die Milch ist folglich keimfrei. Nach der Hitzebehandlung wird für gewöhnlich eine Hochdruck-Homogenisierung durchgeführt, um die Produktstabilität zu gewährleisten. Anschließend wird die Milch aseptisch in luftdichte, lichtundurchlässige und sterile Behälter abgefüllt. H-Milch muss vor dem Öffnen nicht gekühlt werden – ungeöffnet ist sie sechs bis neun Monate haltbar, wenn sie bei Umgebungstemperaturen von 20 bis 30 Grad Celsius gelagert wird.
– Ludger Tacke, Head of Product Engineering Management - Hygienic Processing, GEA
LT: Landwirte und Molkereien sind des Öfteren mit Schwankungen im Hinblick auf das Angebot und die Nachfrage konfrontiert. Häufig herrscht ein Überangebot, was dazu führt, dass die Betreiber ihre Milch wegschütten müssen. Wenn das passiert, wird nicht nur die Milch verschwendet, sondern alles, was zur Herstellung dieser Milch benötigt wurde: Futter, Wasser, Medikamente, Landarbeit, Maschinenkosten etc. Viele Menschen auf der Welt sind von Lebensmittelknappheit oder Mangelernährung betroffen, was das Wegschütten der Milch noch schlimmer macht.
Dies könnte sich ändern, wenn mehr Rohmilch zu H-Milch verarbeitet würde. Denn sobald diese behandelt und verpackt ist, kann sie mehrere Monate lang ungekühlt gelagert werden. In dieser Zeit könnte die Nachfrage nach Milch steigen oder ein anderer Markt gefunden werden. Kurz gesagt, könnte H-Milch dafür sorgen, dass sich eine Branche stabilisiert, die für gewöhnlich von Instabilität geprägt ist. Dieselbe Strategie wird bekanntermaßen auch für Ernährungsformeln genutzt, beispielweise für Säuglingsmilch in Pulverform. Diese ist ebenfalls viel länger haltbar als andere pasteurisierte Flüssigmilchprodukte. Zudem kann Milchpulver auch zur Herstellung von H-Milch verwendet werden, was die Haltbarkeit der Milch nochmals verlängert.
Da haltbare Milch vor dem Öffnen nicht gekühlt werden muss, verringern sich die Kühlungskosten und Emissionen entlang der gesamten Lieferkette. Und wenn Händler unverkaufte Milch, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat, nicht ständig wegwerfen müssten, ist dies natürlich von Vorteil – die Margen sind ohnehin knapp. Und auch die Abfallmenge verringert sich erheblich. In den USA ist ein Großteil der Biomilch zwar H-Milch, sie wird aber trotzdem häufig im Kühlregal gelagert, da die Verbraucher keine warme Milch kaufen wollen. Offenbar ist es schon dazu gekommen, dass einige Sojamilchhersteller Sonderzahlungen leisten, damit die US-Supermärkte ihre haltbaren Produkte in der Kühlabteilung lagern. Dies ist selbstverständlich vollkommen unnötig und wird sich hoffentlich ändern, sobald Umweltaspekte häufiger thematisiert werden und in den Vordergrund rücken.
In vielen Haushalten wird Milch als Grundnahrungsmittel angesehen. Für moderne Familien ist es deshalb klar von Vorteil, wenn sie mehr Milch aufbewahren können, ohne sich um die Mindesthaltbarkeit sorgen zu müssen. Das beugt der Verschwendung von Nahrungsmitteln vor. Praktischerweise beansprucht H-Milch kaum Platz im Kühlschrank und kann deshalb in größeren Mengen gekauft werden. Vor allem für Länder, in denen Netzwerke für durchgängige Kühlketten fehlen, ist die H-Milch eine wichtige und nahrhafte Option. Durch die weltweite Verstädterung haben immer weniger Menschen Zugang zu Frischmilch, weshalb sich die H-Milch als besonders sinnvoll erweist. Insgesamt hat sie eine bessere Ökobilanz, sie muss schließlich nicht gekühlt werden und benötigt deshalb weniger Energie.
– Ludger Tacke, Head of Product Engineering Management - Hygienic Processing, GEA
LT: Es ist eben äußerste persönliche Entscheidung, welche Nahrungsmittel und welchen Geschmack wir mögen. Auch unsere Kultur und Erfahrungen, und unsere Wahrnehmung spielen dabei eine prägende Rolle.
Es stimmt, dass H-Milch anders oder zumindest geringfügig anders als pasteurisierte Milch schmeckt. Manche meinen, dass die H-Milch einen leicht karamellisierten oder süßlichen Geschmack hat. Wie weit dieser Geschmack ausgeprägt ist, hängt von der verwendeten Verarbeitungsmethode ab. Grundsätzlich entsteht er durch die Erhitzung, die wir brauchen, um die Keime und die Enzyme zu inaktivieren, die die Milch sonst schlecht werden lassen. Wird die Milch allerdings zu sehr erhitzt, kann sie sogar verbrannt schmecken. Tatsächlich werden die Eigenschaften der Milch durch die Erhitzung verändert. Dank der modernen Verarbeitungstechnologien, bei welchen die Milch nur sehr kurz und präzise erhitzt wird, sind diese Veränderungen jedoch minimal.
Im Hinblick auf den Nährwert bietet H-Milch denselben Kalorien- und Kalzium-Gehalt wie Rohmilch, allerdings fällt ihr Gehalt an Folsäure, Vitamin B12, Vitamin C, Thiamin und Jod etwas geringer aus. Dies trifft jedoch auch auf pasteurisierte Milch zu. Für gewöhnlich gehen weniger als 20 Prozent der Nährstoffe verloren, die durch Vitamine, die man nach dem Erhitzen wieder hinzufügt, ersetzt werden können.
Wer keine warme Milch mag, kann die H-Milch einfach ein oder zwei Stunden vor dem Verzehr in den Kühlschrank stellen. In den USA, wo haltbare Milch häufig auf Ablehnung stößt, verzehren viele Menschen unwissentlich H-Milch. Wie bereits erwähnt, wird dort ein Großteil der Biomilch wegen der langen Transportwege ultrahocherhitzt. Tatsächlich hört man oft von Auswanderern, die sich in Ländern mit einem breiten Angebot an H-Milch schnell an diese Milchsorte gewöhnt haben und bald davon überzeugt sind.
LT: GEA verfügt über mehr als 125 Jahre Erfahrung bei der Verarbeitung von Flüssigmilch und steht seit fast einhundert Jahren im Dienste der Landwirtschaft. Mit Milch kennen wir uns also bestens aus. Unser Know-how in der H-Milch-Verarbeitung umfasst alle Phasen von der Annahme von Milch und anderen Zutaten über Separationsprozesse, Behandlung und Homogenisierung bis hin zur Abfüllung, was sich auch in unserer Produktpalette widerspiegelt. Bei der Bewerkstelligung dieser Phasen setzen wir zum Großteil Automatisierungs- und Steuersysteme von GEA ein. Wir bieten sowohl Lösungen für die Chargen- als auch für die kontinuierliche Produktion und kümmern uns um jedes Detail: Wir konfigurieren robuste, langlebige Ventile genauso wie wir platzsparende, hygienische Rohrleitungen designen.
Unsere Inline-UHT-Prozesslösungen umfassen die Abscheidung, Standardisierung und aseptische Prozessbehandlung, wodurch sie helfen, fixe und variable Kosten insbesondere in Bezug auf den Energieverbrauch zu senken. Durch die geringe Anzahl an Komponenten werden weniger Wasser und Reinigungsmittel benötigt. GEA Anlagen stehen einfach für hohe Produktqualität, damit meine ich einen verbesserten Geschmack, eine geringere Menge an gelöstem Sauerstoff und eine optimale Haltbarkeit. Unsere Kunden können zwischen drei verschiedenen Arten von UHT-Anlagen wählen, die wir entweder mit einem direkten oder indirekten Erwärmungsverfahren ausstatten. Wir passen sie individuell an, um den Produkt- und Prozessanforderungen und auch dem Anlagenlayout und -durchsatz des jeweiligen Kunden gerecht zu werden. Außerdem können Kunden bestimmte Verfahren mit unseren UHT-Versuchsanlagen testen, entweder in einer GEA Testanlage oder direkt am Produktionsstandort des Kunden.
Homogenisierung verbessert zusätzlich die Stabilität der Milch. Sie reduziert die Größe der Fettkügelchen und verhindert, dass sich der Rahm an der Oberfläche sammelt oder an den Seiten des Behälters anhaftet. Homogenisierte Milch fühlt sich angenehmer im Mund an und ist länger haltbar – insgesamt ist die Milchqualität höher. Je nach Erhitzungsverfahren kann die Homogenisierung vor oder nach der Erwärmung durchgeführt werden. Diebesten Ergebnisse erreichen wir jedoch nach dem Erhitzen, denn das verhindert die Aggregatbildung der Proteine und es lagern sich weniger hitzeabhängige Proteine ab. GEA bietet ein umfassendes Sortiment an industriellen Homogenisatoren und sind aufgrund ihrer herausragenden Qualität und Effizienz einer der Marktführer in der Milchverarbeitung.
Nach der Verarbeitung muss die H-Milch aseptisch abgefüllt werden. Das GEA ABF-Füllsystem (Aseptic Blow Fill) bietet sterile Bedingungen und ist besonders zuverlässig und leistungsstark. Bei diesem Verfahren werden die Preforms sterilisiert und anschließend mit steriler Luft in einer aseptischen Umgebung ausgeblasen. So bleibt die Sterilität während des Abfüllens und Verschließens gewahrt. Diese Methode arbeitet mit weniger Chemikalien und macht die Flaschenreinigung überflüssig. Sie ist sehr kompakt konstruiert und benötigt auch weniger Energie. Unser aseptischer Abfüllblock Whitebloc wurde speziell für die milchverarbeitende Industrie und für die Verwendung mit PET- und HDPE-Flaschen entwickelt. Mit unseren Abfüllanlagen ECOspin2 Zero und Modulbloc bieten wir außerdem Optionen für die Nasssterilisation.
LT: Als Verpackungsmaterial für Flüssigmilchprodukte ist PET ideal und da es zu 100 Prozent recycelbar ist, verzeichnet es in diesem Markt ein beträchtliches Wachstum. Zudem bietet es hervorragende Barriere-Eigenschaften, die für die Nahrungsmittelsicherheit empfindlicher Getränke erforderlich sind.
Auch für die Verbraucher sind PET-Behälter von Vorteil, da sie insbesondere beim Öffnen und Ausschenken sehr benutzerfreundlich sind. Außerdem lassen sie sich besonders leicht reinigen und recyceln, was längst nicht auf alle H-Milch-Verpackungen zutrifft.
LT: Mit Sicherheit der Onlinehandel und die zunehmende Verstädterung. Denn diese können dafür sorgen, dass Lebensmittel und Getränke längeren Transportwegen ohne Kühlung ausgesetzt sind. In dicht bewohnten Stadtgebieten gehen die Verbraucher häufig zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder dem Motorroller einkaufen, was für empfindliche Nahrungsmittel wie Milchprodukte problematisch sein kann.
Da immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das Landleben hinter sich lassen, gewinnen verpackte Produkte mit langer Haltbarkeit kontinuierlich an Bedeutung. Zudem legen viele Kunden Wert auf zweckmäßige Getränke-Optionen, was wohl ebenfalls für mehr H-Milch-Liebhaber sorgen wird. Außerdem ist H-Milch für gewöhnlich günstiger als frische oder pasteurisierte Milch. Wer sich einmal für H-Milch entschieden hat, bleibt häufig dabei. Auch wenn ich hoffe, dass dies nie der Fall sein wird, könnten der Klimawandel und die damit einhergehenden steigenden Temperaturen dafür sorgen, dass frische und pasteurisierte Milch in einigen Teilen der Welt keine praktikable Option mehr darstellt. Und wie wir gerade erst durch die Covid-19-Einschränkungen am eigenen Leib gespürt haben, ist der Zugang zu unverderblichen Nahrungsmitteln nicht nur ein Luxus, sondern eine absolute Notwendigkeit.